(…) Zeichnen ist für Sabine Tschierschky ein intuitiver, ein spontaner Prozeß, bei dem sich je nach Stimmungslage oder Befindlichkeit die Bilder wie „von selbst“ einstellen. Kandinsky hat diese Form des Schöpfungsaktes im Unterschied zu einem strikt rationalen Lösungsverhalten einmal dahingehend charakterisiert, daß die Formen oder Bilder „manchmal so schnell und ununterbrochen ‚vor einem schweben’, daß man nicht die Zeit hat, sie auch teilweise zu fixieren. Auch dies äußert sich verschieden: manchmal sieht man nur Bruchstücke, einzelne Zusammenstellungen, malerische, zeichnerische ‚Klänge’, manchmal das gesamte Bild, das nur zu fixieren ist, d.h. die materielle Form bekommen muß.“
So oder ähnlich wird man sich auch den Entstehungsprozeß der Zeichnungen Sabine Tschierschkys vorzustellen haben, insbesondere jener Zonen, in denen die Formbehandlung zuweilen einen Grad der Loslösung vom Zwang zur Gegenstandsbezeichnung erreicht, daß man sich an die Bildformen des Informel erinnert fühlt. (…)
Professor Dr. Rainer Wick
Aus: Sabine Tschierschky – Zeichnungen – Aquarelle, 1984
(…) Nur Energie und Hoffnung auf das Wirken der Kunst sind die Antriebsfedern, die Sabine Tschierschky vorwärtstreiben, Einfall um Einfall Bild werden lassen. Was sollen da Einordung, Urteil, Vergleich? Diese blassen Etüden des warenhaften Kunstbetriebs gelten hier nicht. „In unserer Zeit gibt es viele Künstler, die etwas tun, weil es neu ist … Sie täuschen sich: das Neue ist selten das Wesentliche.“
Das sagte vor hundert Jahren Henri de Toulouse-Lautrec. Was bewegt Sabine Tschierschky, das alte Wahre zu nennen, von ihr wie neu entdeckt in unbekannten Gesichtern und Leibern, in den unaufklärbaren, schlimmen Handlungen unserer Tage? Sie wehrt sich und wehrt sich nicht, und sie hat Mut. Sie tut nichts anderes, als der zuweilen unbegreiflichen Absurdität des Lebens das schier abenteuerliche Ansinnen eines ganz ungesicherten Glaubens an die ihr eigene Sache entgegenzustellen. So ist sie nun mal, und sie weiß wohl gar nicht, daß dies sehr viel ist.
Hans Walter Kivelitz
Aus: Sabine Tschierschky, Bilder, 1990
(…) Sabine Tschierschkys Linien in Kreide, Tusche, Grafit, meist in Rostbraun wollen nicht – so ihre eigenen Worte – die Welt verbessen, es gibt auch kein Programm und schon gar keinen vordergründigen Zweck ihres Arbeitens und ihrer Arbeiten, aber den Linien entlang nach weiterzudenken ergibt sich aus der Definition der Linie. Sabine Tschierschkys kompositorischer und ikonografischer Ansatz, verbunden mit einem vehementen Plädoyer für die Freiheit der Linie, entbindet uns nicht, neue Umrisse, neue Entwürfe des Menschen, für den Menschen – vielleicht sind es die uralten – auszutauschen, einzubeziehen, festzuhalten, zu pflegen, die Linien führen zu den Wagnissen und Geheimnissen der Schöpfung, die es zu bewahren gilt.
Otto Roche
Text zur Ausstellung in der Von der Heydt Kunsthalle Wuppertal-Barmen, 1999